WORTKLANG

22. Nov 2010
SÜDKURIER NR. 270 / 66. JAHR / FN: 22

Reise durch die Zeit in 80 Minuten

Harald Ruppert

Die Gruppe Wortklang mit ihrem Programm „Durch die Zeiten“ in der evangelischen Kirche Manzell.

„Haste mal ne Zeit für mich? Hab soviel um die Ohren! Es müssen ja nicht Stunden sein – hab' meine halt verloren.“ Mit ausgestreckter Hand geht Günther Weber durchs Publikum und bettelt um das, was keiner mehr zu haben glaubt, obwohl jeder es sich nehmen kann: Zeit eben.

Eine ganze Menge Zeit wird die Gruppe Wortklang gebraucht haben, bis sie ihr neues Programm „Durch die Zeiten“ fertig hatte, denn darin findet sich eine ganze Reihe von Liedern und Texten, die das seit sechs Jahren bestehende Quartett selbst verfasst hat. Dabei leistet sich Wortklang, wenn die besagte Zeitknappheit aufs Korn genommen wird, auch mal eine böse Pointe – sogar mit dem Sterben soll man sich heute ein bisschen beeilen, meint Günther Weber in der Rolle des Zeitsparers, und fügt an: „Nur die Verwesung lässt sich dann verdammt viel Zeit.“

Viele, sehr viele sind gekommen, um die Programmpremiere in der evangelischen Kirche Manzell zu erleben. Das kabarettreif scharfe Wort klingt der Gruppe dabei selten im Mund, aber darum geht es auch nicht: Wortklang transportieren die christliche Sicht auf das Leben. Ermutigung und Zuversicht spielen dabei ein wichtige Rolle, und durchaus auch eine kindliche Verträumtheit, wie im Lied von Konstantin Wecker: „Einfach wieder schlendern, über Wolken geh'n, und im totgesagten Park am Flussufer stehn.“

Von Ralf Berner am Bass und Rainer Oswalds lyrisch-samtenem Saxofonspiel begleitet, singt sich Andreas Glatz durch ein Plädoyer für die Entdeckung der Langsamkeit. Poppige Leichtigkeit, jazzige Improvisationen, sogar Tango auf dem Akkordeon durchziehen diese Reise in 80 Minuten durch das Phänomen der Zeit, in der es auch ums Sterben geht: „Ach wie wird es sein beim letzten Fallen? Schwebe ich federleicht, sacht wie ein Blatt, das die Jahreszeiten gesehen und Licht und Wärme geatmet hat?“ Der Furcht vor dem Lebensende wird bei Wortklang durch das Vertrauen auf Gott letztlich der Stachel genommen. Man muss diese harmonische Wende aber nicht mitmachen, um die Frage nach der eigenen letzten Stunde wunderbar formuliert zu finden. Wo es um Zeit geht, geht es auch um Zeitenwenden – und in seinem berühmten Gedicht „Stufen“ formuliert Hermann Hesse den Gedanken, dass es ohne Abschied und Neuanfang kein Leben gibt, sondern nur lähmende Gewöhnung. Und auch Rilke bekommt sein Recht: „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehen. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen – aber versuchen will ich ihn.“

Es ist dieses gedachte „Trotzdem!“, das Wortklang auch für Menschen interessant macht, die sich nicht zum Kern einer Kirchengemeinde zählen. Der verrinnenden Lebenszeit wird hier mit einer Mütze Mut begegnet, und auch mit einer kontemplativen Haltung, die die Zeit ihren Lauf nehmen lässt.