WORTKLANG

11. Apr. 2009
SÜDKURIER NR. 84 / 65. JAHR / FN: 27

Auch Judas hofft auf Erlösung

Harald Ruppert

Eine bequeme Passionsandacht ist es nicht; und bequem, wenn sie Sinn machen soll, darf sie auch nicht sein. Passion und Auferstehung stehen im Zentrum des christlichen Glaubens, und der Weg, der gegangen werden muss, um sich ihrer Bedeutung klar zu werden, ist an diesem Abend einmal ein ganz konkreter durch den Kirchenraum von St. Columban, vor allem aber ein geistiger Weg des tieferen Verständnisses. Es ist ein Weg in vier Stationen, den die Gruppe „Wortklang“ sich vorgenommen hat: Vom letzten Abendmahl führt er über den Verrat des Judas, die Verhandlung vor Pilatus und schließlich die Kreuzigung. Auch die Auferstehung spielt freilich eine Rolle, die als Hoffnung vom Karfreitag zum Osterfest hinüberscheint – „denn ohne Auferstehung würde auch die Passion keinen Sinn machen“, sagt Günter Weber von der Gruppe „Wortklang“, die die Andacht gestaltet. Zu „Wortklang“ zählen neben Günter Weber (Rezitation) die Musiker Andreas Glatz (Keyboard, Gesang), Ralf Berner (Bass) und Rainer Oswald (Saxophon, Didgeridoo). Wort und Klang sind bei dieser Andacht nicht voneinander zu trennen: Lieder der christlichen Popmusik, intensive Saxophon-Improvisationen, Taizé-Gesänge und Eigenkompositionen von Andreas Glatz verbinden sich mit Texten aus den Evangelien sowie fremden und von Günter Weber/Andreas Glatz geschriebenen Gedichten.

„Wortklang“ gelingt eine theatralische und musikalische Vergegenwärtigung des Passionsgeschehens, in der die Passionsschilderung der Evangelien mit einer zweiten Wortebene verknüpft wird. Durch Gedichte wird die Relevanz im Heute aufgezeigt, und das geschieht durchaus kritisch. So schlüpft Günter Weber in der Station des letzten Abendmahls mit provokanter Stimme in die Rolle eines hungernden Menschen. „Die Kinder sterben früh hier. Sie kennen keine Eucharistie. Dabei würden sie gern Dank sagen – doch wissen sie leider nicht, wie“. Eben noch wurde bei der Lesung aus dem Markusevangelium unter den Jüngern Brot und Wein geteilt – und hier nun die beschämende Szene, in der der Wandlung ein Hungernder gegenübergestellt wird. Es wird nicht zugelassen, dass die kultische Handlung sich im Geistigen verflüchtigt, denn sie ist zugleich lebenswichtig und die christliche Nachfolge erfüllt sich in der Bereitschaft zum Teilen mit den Armen. Wortklang sonnen sich nicht in der Selbstverständlichkeit der Erlösung, die in der Passion mit aufgehoben ist – sie gewinnen die Erlösung erst aus dem Kontrast heraus. So, wenn Günter Weber in der Szene der Gefangennahme Jesu harsch den Judas verkörpert, der als zeitlose Gestalt ins Heute spricht: „Aus dem Grab riefst du nur die anderen. An meinem Leben lag dir nicht viel. Wenn auch deine Liebe nur die anderen meinte, litten und starben wir beide umsonst.“ Hier wird aufgeräumt mit engen Glaubensvorstellungen, und wenn das Saxophon flackernde Schmerzenslaute erzeugt, zeigt sich darin mehr als die Erlösungsbedürftigkeit nur des Judas.

Die Gemeinde bleibt nicht betrachtendes Publikum, sondern macht sich in der fast dunklen Kirche auf den Nachvollzug des Passionsweges – allerdings in der angemessenen Haltung der Gläubigen, denen der Weg bereitet ist, auf den Lippen den Taizé-Gesang „Im Dunkel unsrer Nacht entzünde das Feuer, das niemals verlöscht“.

Die Passionsandacht ist nicht großsprecherisch, sondern eindringlich, und diese Eindringlichkeit wird gegen Ende stärker. Die Gottesverlassenheit des gekreuzigten Jesus wird nicht verlesen, sondern in einer theaterhaft-musikalischen Inszenierung deutlich gemacht. Da ist nichts von Erlösung und Siegesgewissheit, als unharmonische Orgelakkorde anschwellend durch den Kirchenraum geistern und die überlieferte Verlassenheitsformel sich verstümmelt, in Wortfetzen, an den Wänden bricht: „Gott! – Mein Gott! – Mich verlassen!“

Erst nach dem Durchschreiten dieser Tiefen ist wieder Raum für Hoffnung; eine Hoffnung, die den mit großer Geste verkündeten Glaubenssicherheiten misstraut und gerade deshalb geeignet ist, die Heutigen abzuholen. So lautet das vorgetragene Gedicht „Kreuz“ von Rudolf Otto Wiemer: „Keins seiner Worte glaubte ich, hätte er nicht geschrien: ‚Gott, warum hast du mich verlassen‘. Das ist mein Wort, das Wort des untersten Menschen. Und weil er so weit unten war, ein Mensch, der ‚Warum‘ schreit und schreit ‚Verlassen‘, deshalb könnte man auch die anderen Worte, die von weiter oben, vielleicht ihm glauben.“